Otto Bauer

Am 5. September 1881 wurde Otto Bauer als Sohn eines wohlhabenden Textilfabrikanten in Wien geboren. Seine schulische Ausbildung beendete er in allen Fächern mit Auszeichnung. Mit 15 Jahren studierte er bereits Schriften von Karl Marx und hielt darüber im Kreise seiner Mitschüler Vorträge. Früh angezogen von den humanistischen Idealen des Sozialismus wurde er 1900 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Nach einem einjährigen Dienst in einem Infanterieregiment der österreichisch-ungarischen Armee begann Otto Bauer 1903 an der Wiener Universität Geschichte, Sprachen, Nationalökonomie, Soziologie, Philosophie und Jurisprudenz zu studieren. Während seiner Studienzeit schloß er sich der „Freien Vereinigung sozialistischer Studenten" und dem „Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein" an. Dort lernte er u.a. Karl Renner, Max Adler und Rudolf Hilferding kennen, mit denen er gemeinsam den Verein „Zukunft", der eine Arbeiterschule darstellte, ins Leben rief. 1904 nahm er zwecks Veröffentlichung seines Artikels „Marx' Theorie der Wirtschaftskrisen" in der „Neuen Zeit" Verbindung mit Karl Kautsky auf, der ihn für eine langjährige Mitarbeit an diesem theoretischen Organ der deutschen Sozialdemokratie gewinnen konnte. Nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte im Jahre 1906 publizierte Otto Bauer in der „Neuen Zeit" zur Imperialismusanalyse, zu Marxismus und Ethik, zur Akkumulation des Kapitals sowie zu den politischen Gefahren des Reformismus in der Sozialdemokratie. 1907 erschien sein kontrovers diskutiertes Buch „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie". Im gleichen Jahr konnte sich die österreichische Sozialdemokratie an den Parlamentswahlen beteiligen und stellte auf Anhieb die stärkste Fraktion. Victor Adler, der Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, beauftragte Otto Bauer daraufhin mit der Errichtung und Leitung ihres Sekretariates. Doch dadurch schränkte er seine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit keineswegs ein. Gemeinsam mit Karl Renner und Adolf Braun gründete er die Monatsschrift „Der Kampf, dessen Schriftleiter er wurde. 1914 wurde er zur Armee einberufen, an der Ostfront eingesetzt und geriet bereits am 23. November 1914 in russische Kriegsgefangenschaft. Im September 1917 kehrte er über Petersburg nach Wien zurück und wird zunächst zur Dienstleistung im kriegswirtschaftlichen Bereich des Kriegsministeriums verpflichtet. Zu dieser Zeit übernahm Otto Bauer die Führung der sozialdemokratischen Linken, die in Opposition zur Kriegspolitik stehen und sich zur Antikriegshaltung Friedrich Adlers bekannten. Am 12. November 1918 war die österreichisch-ungarische Monarchie endgültig zusammengebrochen. Die demokratische Republik Deutschösterreich wurde ausgerufen und Otto Bauer 9 Tage später zum Leiter des Amtes für Äußeres ernannt. Von diesem Amt trat er jedoch bereits im Juli 1919 zurück, weil seine Politik des Anschlusses Österreichs an Deutschland mit dem Friedensvertrag von Saint-Germain gescheitert war. In der Nationalversammlung war er als Abgeordneter eines Wiener Wahlkreises seit März 1919 vertreten. Zwischen 1920 und 1923 trat er mit einer Reihe von Publikationen hervor, die die russische und österreichische Revolution thematisierten. Der russische Weg zum Sozialismus wurde von ihm begrüßt, aber ihr sozialistischer Charakter in Frage gestellt. Für westeuropäische Verhältnisse sei er nicht gangbar. Seine politische Haltung Anfang der 20er Jahre manifestierte sich in seinem Engagement für die Bildung der Wiener Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (auch „Internationale zweieinhalb" genannt), der Parteien angehörten, die einerseits aus der sozialreformistischen K. Internationale wegen ihrer „Burgfriedenspolitik" ausgetreten waren, aber andererseits den Eintritt in die Kommunistische Internationale wegen der ideologischen Vormachtstellung der Bolschewik! ablehnten. Diese Arbeitsgemeinschaft schloß sich aber bereits im Mai 1923 mit der II. Internationale zur Sozialistischen Arbeiter-Internationale zusammen. Auf dem Gründungskongreß referierte Otto Bauer zum Thema „Der internationale Kampf gegen die internationale Reaktion". Er bezeichnete den Gegensatz zwischen dem revolutionären Rußtand und dem internationalen Kapitalismus als Hauptwiderspruch und forderte dazu auf, jeder Form der Intervention gegenüber der UdSSR Widerstand zu leisten und diplomatische sowie wirtschaftliche Beziehungen zu ihr aufzunehmen. Am 3. November 1926 beschloß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs auf ihrem Linzer Parteitag das von Otto Bauer vorbereitete Programm, das zu diesem Zeitpunkt als das bedeutendste Dokument des „demokratischen Sozialismus" galt. Nach der Niederlage des sozialdemokratischen Schutzbundes gegen das faschistische Dollfuß-Regime im Februar 1934 emigrierte Otto Bauer in die Tschechoslowakei und errichtete in Brunn das „Auslandsbüro der Österreichischen Sozialdemokratie". Er wurde Herausgeber der nunmehr illegalen „Arbeiter-Zeitung" und übernahm die Redaktion der Zeitschrift „Der Kampf. Im Februar 1936 legte er sein Buch „Zwischen den zwei Kriegen? Die Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus" vor. Es wird als sein Hauptwerk und politisches Testament angesehen. Mit dem darin ausgeführten Konzept des „Integralen Sozialismus" entwickelte er Wege und Perspektiven des gemeinsamen Wirkens von Sozialdemokraten und Kommunisten gegen Krieg und Faschismus. Am 5. Juli 1938 erlag der inzwischen nach Paris übergesiedelte Otto Bauer einem Herzinfarkt. Sein Leichnam wurde auf dem Pariser Friedhof „Pere Lachaise" gegenüber dem Denkmal für die Kämpfer der Pariser Kommune von 1871 beigesetzt.

Schriften von Otto Bauer:

Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, Wien 1908

Die Sozialisierungsaktion im ersten Jahre der Republik, Wien 1919

Der Weg zum Sozialismus, Berlin 1919

Bolschewismus oder Sozialdemokratie? Wien 1920

Kapitalismus und Sozialismus nach dem Weltkrieg, Berlin 1931

Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkungen, Prag 1934

Die illegale Partei, Paris 1939

Zwischen den Weltkriegen? Die Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus, Prag 1936

Julius Braunthai (Hrsg.): Otto Bauer, Eine Auswahl aus seinem Lebenswerk, Wien 1961

Werkausgabe, 9 Bd. Wien 1975ff.

Schriften über Otto Bauer:

Albers, Detlev: Versuch über Otto Bauer und Antonio Gramsci. Zur politischen Theorie des Marxismus, Berlin 1983

Albers, Detlev / Hindels, Josef / Radice, Lombardo: Otto Bauer und der "dritte" Weg. Die Wiederentdeckung des Austromarxismus durch Linkssozialisten und Eurokommunisten. Frankfurt - New York 1979

Klein, Horst: Otto Bauers Gesellschaftsidee für eine bessere Welt, in: Leipziger Hefte, hrsg. von der Leipziger Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte, Reihe A. Soziales Denken im 19. und 20. Jahrhundert, Leipzig 1994, Heft 2

Leichter, Otto: Otto Bauer. Tragödie oder Triumpf, Wien - Frankfurt - Zürich 1970

Otto Bauer - Theorie und Politik, hrsg. von Detlev Albers, Horst Heimann und Richard Saage, Berlin 1985

Aus: Michael Franzke / Uwe Rempe (Hrsg.) – Linkssozialismus, Texte zur Theorie und Praxis zwischen Stalinismus und Sozialreformismus, Leipzig 1998, ISBN 3-932725-36-0